- Pflichtverteidigung bei hoher Straferwartung
- Pflichtverteidigerwechsel bei fehlender Belehrung
- Pflichtverteidigerbestellung bei Gesamtstrafenbildung
- Pflichtverteidigerbestellung bei Sachverständigengutachten
- Bestellung eines auswärtigen Pflichtverteidigers bei notwendiger Akteneinsicht
Pflichtverteidigung bei hoher Straferwartung
In einem Revisionsverfahren hob das Oberlandesgericht Hamm ein Urteil des Landgerichts Arnsberg auf, weil dem Angeklagten kein Pflichtverteidiger beigeordnet wurde.
Nach § 140 Abs. 2 S. 1 StPO kann wegen der „Schwere der Tat“ eine Pflichtverteidigerbestellung notwendig sein. Die „Schwere der Tat“ richtet sich nach der zu erwartenden Strafe. Das Oberlandesgericht Hamm nahm die „Schwere der Tat“ in seiner Entscheidung schon bei einer Straferwartung von sechs Monaten Freiheitsstrafe ohne eine Strafaussetzung zur Bewährung an. Das Gericht wies darauf hin, dass auch bei einer Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird, ein Fall der notwendigen Pflichtverteidigung vorliegt.
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 20.11.1992
Pflichtverteidigerwechsel bei fehlender Belehrung
Das Oberlandesgericht Hamm hob einen Beschluss des Landgericht Arnsberg auf und ermöglichte so einen Pflichtverteidigerwechsel.
Das Oberlandesgericht Hamm stellte fest, dass dem Betroffenen vor der Bestellung des Pflichtverteidigers die Gelegenheit gegeben werden muss, seinen Vertrauensanwalt zu benennen. Das erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen dem Betroffenen und seinem Pflichtverteidiger liegt ansonsten nicht vor. In diesem Fall ist ein Pflichtverteidigerwechsel möglich. Andernfalls muss der Betroffene konkrete Gründe vortragen, dass das Vertrauensverhältnis zu dem bisherigen Pflichtverteidiger gestört ist. Solche Gründe liegen unter anderem vor, wenn der bisherige Pflichtverteidiger keinen geeigneten Beistand leistet und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf nicht gewährleisten kann.
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 08.05.2007
Pflichtverteidigerbestellung bei Gesamtstrafenbildung
Das Landgericht Arnsberg hat die Entscheidung des Amtsgerichts Arnsberg aufgehoben.
Nach der Rechtsprechung des Landgerichts Arnsberg ist die Beiordnung eines Pflichtverteidigers notwendig, wenn die „Schwere der Tat“ gegeben ist. Die „Schwere der Tat“ richtet sich nach der zu erwartenden Strafe und wird bei einer Straferwartung von mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe, auch bei einer Strafaussetzung zur Bewährung, angenommen. Diese Grenze ist auch erfüllt, wenn aus einem früheren Strafverfahren eine Gesamt- oder Einheitsstrafe gebildet werden muss, wenn Sie also schon wegen einer anderen Sache verurteilt wurden und die Strafe mit der jetzt zu erwartenden 1 Jahr (auf Bewährung) übersteigen kann. Dies gilt selbst dann, wenn schon im Vorfeld eine Einstellung des Verfahrens nahe liegt.
Landgericht Arnsberg, Beschluss vom 07.08.2007
Pflichtverteidigerbestellung bei Sachverständigengutachten
Das Landgericht Arnsberg hob die Entscheidung des Amtsgerichts Marsberg auf und ordnete dem Angeklagten den von ihm gewählten Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger bei.
Das Landgericht Arnsberg nahm in dem Strafverfahren einen Fall der notwendigen Pflichtverteidigung an, weil die Verurteilung des Angeklagten im Verfahren vor dem Amtsgericht Marsberg auf einem Sachverständigengutachten beruht.
Die Beweiswürdigung auf Grundlage des Sachverständigengutachtens ist nur mit entsprechender Erfahrung und Sachkunde überprüfbar. Dazu benötigt der Angeklagte die Hilfe eines Verteidigers.
Landgericht Arnsberg, Beschluss vom 19.11.2001
Bestellung eines auswärtigen Pflichtverteidigers bei notwendiger Akteneinsicht
Das Oberlandesgericht Hamm erachtet bei der Einholung eines Schriftvergleichsgutachtens die Einsicht in die Gerichtsakte für notwendig. Zur Akteneinsicht ist aber nur ein Verteidiger berechtigt, sodass aufgrund der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Pflichtverteidigerbestellung notwendig ist.
Die Wahl des Verteidigers obliegt dabei dem Betroffenen. Es kommt insbesondere auf das Vertrauensverhältnis zwischen dem Betroffenen und dem Verteidiger an. Der Betroffene kann sich daher auch für einen Verteidiger entscheiden, der nicht am Ort des Gerichtes ansässig ist. Dies gilt für Jugendliche, Heranwachsende und Erwachsen gleichermaßen.
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 22.04.2002